In den vergangenen Jahrzehnten galt passives Investieren als die ideale Strategie für Privatanleger: Niedrige Kosten, breite Diversifikation und eine langfristig attraktive Rendite machten Index-ETFs zur bevorzugten Wahl vieler Investoren. Doch aktuelle Entwicklungen zeigen, dass sich die Risiken passiver Investments mit der Zeit verändern können – und dass eine Strategie des “Einmal kaufen und vergessen” nicht ohne weiteres aufgeht.

Die stille Transformation der Indizes

Eine der wesentlichen Annahmen beim Investieren in ETFs ist die breite Diversifikation innerhalb eines Index. Doch was, wenn sich diese Diversifikation unbemerkt verändert? Genau das ist in den letzten Jahren geschehen. Ein Blick auf den S&P 500 zeigt, dass sich die Gewichtung der im Index enthaltenen Unternehmen drastisch verschoben hat.

Vor 20 Jahren war der Index deutlich ausgewogener und enthielt ein breites Spektrum an Branchen. Heute dominiert der Technologiesektor – allen voran Unternehmen wie Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet und Nvidia. Diese wenigen Konzerne machen mittlerweile einen erheblichen Teil der Indexgewichtung aus. Eine solche Konzentration bedeutet, dass der S&P 500 immer weniger die gesamte US-Wirtschaft repräsentiert und stattdessen stark von der Performance weniger Tech-Giganten abhängig ist.

Diese Entwicklung hat weitreichende Folgen: Wer heute in einen ETF auf den S&P 500 investiert, ist stärker auf die Tech-Branche fokussiert, als es ihm vielleicht bewusst ist. Die gewünschte Diversifikation ist somit nicht mehr im gleichen Maße gegeben wie noch vor zwei Jahrzehnten.

Globale Indizes ebenfalls betroffen

Auch globale Indizes wie der MSCI All Country World Index (ACWI) zeigen ähnliche Verschiebungen. Die USA haben aufgrund ihrer starken Marktentwicklung in den letzten Jahren einen immer größeren Anteil am ACWI eingenommen. So hält ein Investor, der diesen Index über einen ETF abbildet, mittlerweile mehr von Tesla als vom gesamten südkoreanischen Aktienmarkt. Damit wird deutlich, dass selbst global ausgerichtete Indizes keineswegs vor einer einseitigen Gewichtung gefeit sind.

Wer also glaubt, mit einem ETF auf den MSCI ACWI eine gleichmäßige globale Streuung zu erhalten, liegt heute nicht mehr unbedingt richtig. Die USA dominieren den Index zunehmend, während andere Regionen immer weniger ins Gewicht fallen.

Passives Investieren in Anleihen: Verzerrungen durch Schuldenlast

Auch auf dem Anleihenmarkt gibt es Herausforderungen für passive Strategien. Viele Anleger setzen auf breit gestreute Anleihe-ETFs, um eine defensive Komponente im Portfolio zu haben. Doch die Methodik vieler Rentenindizes führt zu unerwarteten Risiken.

Der Bloomberg Global Aggregate Bond Index beispielsweise bildet Anleihen auf Basis der ausstehenden Verschuldung ab. Das bedeutet, dass Staaten und Unternehmen mit der höchsten Schuldenlast auch die größte Gewichtung im Index haben.

Ein Investor in einen ETF auf diesen Index hat also oft eine größere Position in hochverschuldeten Staaten oder Unternehmen, als ihm bewusst ist. Dies widerspricht eigentlich dem Gedanken der Risikodiversifikation und kann in Zeiten steigender Zinsen oder wirtschaftlicher Unsicherheit problematisch sein.

Kein “Set-and-Forget”-Investment

All diese Entwicklungen zeigen, dass ETFs keineswegs eine “Set-and-Forget”-Lösung sind. Anleger sollten regelmäßig überprüfen, wie sich die Zusammensetzung der Indizes ändert und ob die ursprüngliche Investmentstrategie noch zu ihren Zielen passt.

Passives Investieren bedeutet nicht, dass man sich nicht mehr mit seinem Portfolio auseinandersetzen muss. Vielmehr ist eine regelmäßige Überprüfung der eigenen Anlagen essenziell, um sicherzustellen, dass die Gewichtung der Investments noch den ursprünglichen Erwartungen entspricht.

Was können Anleger tun?

Anleger, die weiterhin auf passive Strategien setzen möchten, sollten folgende Punkte berücksichtigen:

  1. Regelmäßige Index-Checks: Mindestens einmal im Jahr sollte man sich ansehen, wie sich die Zusammensetzung des ETFs verändert hat. Sind bestimmte Sektoren oder Regionen stärker gewichtet als erwartet?
  2. Diversifikation durch mehrere ETFs: Anstatt sich auf einen einzelnen breit gestreuten ETF zu verlassen, kann es sinnvoll sein, mehrere spezialisierte ETFs zu kombinieren, um gezielt eine ausgewogene Allokation zu erreichen.
  3. Ergänzung durch aktive Elemente: Auch wenn passive Investments günstig und effizient sind, kann eine Beimischung von aktiven Strategien helfen, ungewollte Klumpenrisiken zu reduzieren.
  4. Anleihen-ETFs genau prüfen: Besonders bei Anleihe-ETFs sollte man darauf achten, wie sich die Gewichtung zwischen hochverschuldeten und stabilen Emittenten entwickelt hat.

Fazit: Bewusst passiv investieren

Passives Investieren bleibt eine effektive Strategie, doch die Risiken haben sich mit der Zeit gewandelt. ETFs sind kein “Buy-and-Forget”-Investment, sondern erfordern eine gewisse Aufmerksamkeit. Anleger sollten sich bewusst machen, dass sich die Zusammensetzung der Indizes verändern kann und regelmäßig überprüfen, ob die eigene Strategie noch zur aktuellen Marktsituation passt.

Nur wer seine Investments im Blick behält, kann langfristig von den Vorteilen des passiven Investierens profitieren, ohne unerwarteten Risiken ausgesetzt zu sein.