Brüssel, Schottland, Washington – der transatlantische Kompromiss ist da. Und er ist teuer. In einem der prunkvollsten Golfresorts Europas, Donald Trumps schottischem Prestigeobjekt Turnberry, wurde am Sonntag ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten verkündet, das in den europäischen Hauptstädten mit geradezu pathetischer Erleichterung aufgenommen wurde. Doch wer genauer hinschaut, erkennt: Es ist kein diplomatischer Durchbruch, kein ausgewogenes Handelsabkommen – sondern ein fauler Frieden, der Europa dauerhaft schwächt.
Was wurde verhandelt?
Das Verhandlungsergebnis, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump öffentlich präsentierten, sieht vor, dass auf die meisten EU-Importe in die USA künftig ein pauschaler Zollsatz von 15 Prozent erhoben wird. Auch europäische Autos sind davon betroffen – allerdings ist das de facto eine Absenkung, denn seit April galten US-Zölle in Höhe von 27,5 Prozent auf Fahrzeuge aus der EU. Für Stahl und Aluminium bleiben hingegen die berüchtigten 50-Prozent-Strafzölle bestehen. Nur eine kleine Liste strategischer Produkte – Flugzeuge, bestimmte Chemikalien, Halbleiterausrüstung, einige Agrarprodukte und Generika – ist komplett zollfrei.
Die EU ihrerseits öffnet im Gegenzug ihren Markt für US-Autos, Energie, landwirtschaftliche Produkte und – wie zwischen den Zeilen zu lesen ist – für erhebliche Investitionen amerikanischer Konzerne. Auch wird die EU künftig jährlich Energie im Wert von rund 250 Milliarden US-Dollar aus den USA beziehen, insbesondere Flüssiggas als Ersatz für russische Importe. Ein Deal, der nicht nur ökonomisch, sondern auch geopolitisch als Konzession zu lesen ist.
Die wirtschaftlichen Folgen: teuer und asymmetrisch
Dass dies ein kostspieliger Kompromiss ist, zeigen Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW): Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands wird infolge der neuen Zölle innerhalb eines Jahres um 0,15 Prozent geringer ausfallen – das entspricht einem Verlust von rund 6,5 Milliarden Euro. Für die EU insgesamt liegt das Minus bei 0,1 Prozent. Branchen wie Stahl, Maschinenbau, Chemie und Automobilindustrie sehen sich durch die neuen Regelungen existenziell bedroht.
Die viel zitierte Erleichterung in der Autoindustrie? Eher zynisch. Zwar sinkt der Zoll auf Autos gegenüber dem 27,5-Prozent-Schock aus dem Frühjahr, doch gegenüber dem Vorkrisenniveau von 10 Prozent bleibt es eine Erhöhung. Zudem betrifft der Zollsatz nicht nur fertige Fahrzeuge, sondern auch Komponenten. Die Autokonzerne müssen Milliarden einkalkulieren – VW hat allein seit April 1,3 Milliarden Euro an Zollkosten gezahlt. Stellantis nennt 300 Millionen. Und das, obwohl die Branche mitten in der Transformation zu Elektromobilität steckt.
Europas Verhandlungsposition – ein Trauerspiel
Der Preis für die EU ist nicht nur monetär. Er ist auch politisch – und strategisch. Schon in der Art und Weise, wie die Einigung kommuniziert wurde, offenbart sich das Ungleichgewicht: Während Trump lautstark neue Zölle auf Pharmazeutika ankündigte, sprach von der Leyen von einer sektorenübergreifenden 15-Prozent-Obergrenze – inklusive Pharma. Wer hat nun recht? Man weiß es nicht. Sicher ist: Die EU-Kommission hat in entscheidenden Punkten keine Klarheit geschaffen.
Die eigentliche Tragödie liegt jedoch tiefer: Trotz ihrer wirtschaftlichen Schlagkraft gelang es der EU nicht, ein besseres Ergebnis als Japan oder Großbritannien zu verhandeln. Japan sicherte sich ebenfalls einen 15-Prozent-Zoll, öffnete im Gegenzug seinen Markt gezielt für amerikanische Agrarprodukte – aber ohne die 50-Prozent-Strafzölle auf Stahl und Aluminium zu akzeptieren. Großbritannien, dank eines pragmatischen Handelsansatzes nach dem Brexit, hat sich weitgehend gegen Zollerhöhungen gestemmt.
Und die EU? Kapitulierte im Zweifel. Der BDI, der Bundesverband der Deutschen Industrie, nannte den Deal ein „fatales Signal“. Die Wirtschaft fürchtet einen massiven Wettbewerbsnachteil – nicht nur gegenüber US-Konkurrenten, sondern auch gegenüber japanischen oder britischen Firmen, die künftig zu günstigeren Bedingungen exportieren.
Kritik aus der Wirtschaft: „Existenzielle Bedrohung“
Die Reaktionen aus der deutschen Wirtschaft lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Dirk Jandura, Präsident des BGA, spricht von einem „schmerzhaften Kompromiss“, der „für viele Händler eine existenzielle Bedrohung“ darstelle. Maschinenbauverbands-Ökonom Johannes Gernandt sieht die Wettbewerbsfähigkeit „deutlich im kritischen Bereich“. Laut einer VDMA-Umfrage spüren bereits bei zehn Prozent Zoll 43 Prozent der Unternehmen starke oder sehr starke Auswirkungen. Jetzt sind es 15 Prozent.
Selbst in der Autoindustrie, die vergleichsweise glimpflich davonkommt, warnt VDA-Präsidentin Hildegard Müller: „Die neuen Bedingungen haben weitreichende Konsequenzen. Der Zollsatz wird die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie jährlich Milliarden kosten.“ Auch der Chemieverband VCI hält sich nicht mit Kritik zurück. Wolfgang Große Entrup kommentiert das Ergebnis mit einem Satz, der alles sagt: „Wer mit einem Hurrikan rechnet, ist für ein Unwetter dankbar.“
Ein europäischer Misserfolg – gefeiert wie ein Sieg
Angesichts dieser Bilanz wirkt es grotesk, wie dieser Deal in vielen Medien als großer Erfolg verkauft wurde. Von einem „Durchbruch“ war die Rede, von „Zollfrieden“, von „mutigem Verhandlungsgeschick“ – dabei handelt es sich um eine schlichte Schadensbegrenzung auf niedriger Ebene. Der vermeintliche Verhandlungserfolg besteht darin, dass Trump seine Drohung von 30 Prozent Zoll auf alles nicht wahrgemacht hat. Aber kann es Anspruch der Europäischen Union sein, sich über die Gnade eines autokratisch auftretenden US-Präsidenten zu freuen?
Die Bilanz ist ernüchternd: Die EU akzeptiert höhere Zölle, gibt ihren Markt für sensible US-Produkte frei, nimmt massive Wohlstandsverluste in Kauf – und bekommt dafür weder Garantien noch Rechtsklarheit. Stattdessen bleibt die Unsicherheit, dass Trump jederzeit nachlegen könnte. Schon jetzt droht er offen mit weiteren Zöllen auf Arzneimittel. Die Welthandelsorganisation WTO? Kaum noch relevant. Multilateralismus? Eine leere Hülse.
Warum braucht es eine EU, wenn sie so verhandelt?
Diese Verhandlungen werfen eine grundsätzliche Frage auf: Wofür brauchen wir eigentlich eine Europäische Kommission, wenn sie es nicht einmal schafft, die Interessen des größten Binnenmarktes der Welt überzeugend zu vertreten? Ein Tandem aus Friedrich Merz, Emmanuel Macron und Giorgia Meloni hätte dieses Ergebnis wohl kaum schlechter, vielleicht sogar besser hinbekommen. Zumindest wäre die symbolische Unterordnung unter Trumps Drohgebärden ausgeblieben.
Dass die Kommissionspräsidentin sich während der Pressekonferenz in Turnberry von Trump mehrfach unterbrechen ließ, ohne zu kontern, ist nicht nur ein PR-Desaster. Es ist Ausdruck eines strukturellen Problems: Die EU will geopolitisch mitspielen, aber sie kann es nicht, solange sie sich unter Wert verkauft.
Mein Fazit: Der Preis der Schwäche
Der neue Handelsdeal zwischen den USA und der EU ist keine Sternstunde der Diplomatie. Er ist ein Beleg für Europas Schwäche. Die EU wird teure Zölle akzeptieren, ihre Industrie wird Milliarden verlieren, und die Handelsbeziehungen zum wichtigsten Partner bleiben angespannt und asymmetrisch. Die große Erleichterung, die vielerorts inszeniert wird, ist nichts anderes als die Folge niedriger Erwartungen.
In einer Welt, in der wirtschaftliche Macht zunehmend auch politisch ausgespielt wird, darf Europa nicht länger darauf hoffen, mit Höflichkeit und Prinzipien durchzukommen. Wer ernst genommen werden will, muss auch bereit sein, Härte zu zeigen – nicht nur gegenüber China oder Russland, sondern auch gegenüber den USA. Der Deal von Turnberry zeigt: Die EU ist davon derzeit weit entfernt.














