Der neue Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 21. Legislaturperiode ist ein Dokument voller Ambitionen und Reformversprechen. Doch aus der Sicht von Aktionären, Anlegern, Sparern und Investoren bleibt vor allem eines hängen: große Sprünge fehlen, echte Impulse für eine moderne, kapitalmarktfreundliche Politik bleiben aus. Der Text verhehlt seine Orientierung an ordnungspolitischer Kontrolle und vorsichtiger Steuerung nicht. Ein genauer Blick auf zentrale Passagen zeigt, wo dieser Koalitionsvertrag verspricht, aber nicht liefert.

Kapitalmarkt und Deutschlandfonds (Rn. 110 ff., 301 ff.)

“Wir werden einen Deutschlandfonds einrichten”, heißt es ab Randnummer 110. Ein großes Wort, das in der Realität eher nach einem kleinen Schritt klingt. Der Fonds soll als Dachkonstrukt dienen, das private Finanzmärkte mit staatlichen Impulsen verbindet. Dafür will der Bund zehn Milliarden Euro bereitstellen, um mindestens 100 Milliarden Euro zu mobilisieren. Die Governance bleibt in “staatlicher Hand”.

Branchenvertreter wie Thomas Richter vom Fondsverband BVI sehen hierin nicht den großen Wurf, sondern sprechen von “planwirtschaftlicher Verteilung”. Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) mahnt, dass nicht der Staat der Hebel für Kapitalmarktentwicklung sein dürfe, sondern ein funktionierender Kapitalmarkt Voraussetzung für solche Initiativen sein müsse. Doch an einer echten Stärkung des Kapitalmarktes fehlt es dem Vertrag über weite Strecken.

Altersvorsorge: Zwischen Symbolpolitik und Leerstellen (Rn. 586 ff.)

Mit der sogenannten “Frühstart-Rente” (Rn. 596) wird ein Konzept vorgestellt, das Kinder zwischen dem sechsten und achtzehnten Lebensjahr mit zehn Euro pro Monat in ein kapitalgedecktes Altersvorsorgedepot versorgen soll. Die Idee mag sympathisch klingen, doch sie bleibt symbolisch. 120 Euro pro Jahr ohne klare Aussagen zur Produktauswahl, Regulierung und Renditeorientierung sind kein Konzept, das Anlegern Vertrauen einflößt.

Der Vermittlerverband AfW lobt zwar die Richtung, betont aber: “Entscheidend wird sein, wie die konkrete Ausgestaltung erfolgt.” Und das ist symptomatisch für den gesamten Vertrag: Es mangelt an Substanz und Klarheit. Der einst von der FDP propagierte Vorschlag der Aktienrente oder “Generationenkapital” taucht im Vertrag gar nicht erst auf. Das kritisiert der Verband Votum offen: “Ein stärkerer Kapitaldeckungsanteil in der gesetzlichen Rente ist nicht vorgesehen.”

Zugleich bleibt die Festschreibung des Rentenniveaus von 48 Prozent bis 2031 (Rn. 587) nicht ohne Preis: Die Kosten sollen ausschließlich durch Steuermittel gedeckt werden. Norman Wirth vom AfW warnt hier vor der “Verstaatlichung” der umlagefinanzierten Rente und nennt das Vorgehen einen Ausdruck politischer Untätigkeit.

Riester-Reform ohne Richtung (Rn. 603 ff.)

Die Koalition verabschiedet sich von der Beitragsgarantie bei der Riester-Rente, ein Schritt, den viele Kapitalmarktfreunde begrüßen. “Mehr Flexibilität und höhere Renditechancen” sieht Thomas Richter als Chance. Doch auch hier bleibt der Vertrag nebulös. Welche konkreten Produkte geplant sind, wie Beratung, Kosten und Zugang geregelt werden sollen, bleibt offen. Besonders das vom Vertrag erwähnte “Standardanlageprodukt” wird kritisch beäugt, insbesondere vom BVK, der auf eine drohende Benachteiligung von Vermittlern hinweist.

Was die bAV (betriebliche Altersvorsorge) betrifft, heißt es im Vertrag zwar, dass diese gestärkt werden soll (Rn. 604), doch bleiben auch hier die Instrumente und Hebel im Ungefähren. Digitalisierung, Portabilität, Vereinfachung – das klingt gut, bleibt aber ohne Strategie. Der AfW kritisiert: “Die wichtige Rolle unabhängiger Vermittlerinnen und Vermittler wird nicht erwähnt.”

Beratungslandschaft: Erhalt des Status quo als Fortschritt? (Rn. 585)

Ein kleines Aufatmen lässt sich aus der Versicherungs- und Vermittlerszene vernehmen angesichts der Bestätigung beider Vergütungsmodelle: “Provisions- und Honorarberatung bleiben gleichberechtigt bestehen.” Dies wird zwar als “starkes Signal” gefeiert, doch es ist letztlich nicht mehr als eine Bestätigung des Status quo. Eine Modernisierung der Beratungskultur, eine breite Offensive zur Stärkung der Finanzbildung oder gar eine neue Beratungsarchitektur sucht man vergebens.

Rohstoffpolitik und Anlagechancen (Rn. 301 ff.)

Ein weiteres Feld mit Relevanz für Investoren ist die Rohstoffpolitik. Der Koalitionsvertrag spricht davon, den Primärrohstoffverbrauch zu senken, Kreislaufwirtschaft zu fördern und europäische Rohstoffpartnerschaften zu stärken. Das klingt sinnvoll – aber auch hier: keine konkreten Investitionsanreize, keine Fondsmechanismen, keine steuerlichen Erleichterungen für private Investoren in strategisch wichtige Rohstoffprojekte. Stattdessen bleibt es bei allgemeinen Bekundungen und dem Verweis auf einen nationalen Rohstofffonds.

Elementarversicherung: Sicherheit versus Markt (Rn. 214, 275 ff.)

Die Koalition plant eine verpflichtende Elementarschadenversicherung mit staatlicher Rückversicherung und einer Opt-out-Option. Aus Sicht von Anlegern in Versicherungsaktien oder -fonds stellt sich hier die Frage nach Eingriffstiefe. Die Regulierung von Vertragsinhalten und der Aufbau staatlicher Rückversicherungskapazitäten erzeugt Unsicherheit darüber, wie wettbewerbsfähig und renditestark private Versicherer in diesem Marktsegment agieren können.

Der GDV spricht zwar von einem “positiven Signal”, der BVK hingegen nennt die staatliche Rückversicherung einen “Wermutstropfen”. Der Balanceakt zwischen mehr Absicherung und weniger Marktfreiheit wird hier offensichtlich.

Steuerpolitik: Keine Vision, kein Anreiz (Rn. 45 ff.)

Wer auf steuerliche Entlastungen für Anleger hoffte, wird enttäuscht. Zwar ist an einigen Stellen von “leistungsgerechter Besteuerung” und “Entlastung” die Rede, doch konkrete Verbesserungen für Kapitalerträge, Freibeträge, Verlustverrechnung oder eine Modernisierung der Abgeltungsteuer sucht man vergebens. Es gibt keine Pläne zur Beseitigung der Vorabpauschale, keine Anreize zur privaten Vermögensbildung, keine Stärkung des Aktiensparens.

Angesichts der demografischen Entwicklung und der bekannten Versorgungslücken bei der Rente bleibt diese Zurückhaltung unentschuldbar. Der Koalitionsvertrag wirkt hier wie ein Dokument aus der Zeit vor dem Zinsanstieg, vor der Inflation, vor der Notwendigkeit, Sparen zu belohnen.

Transparenz: Vermögensregister und digitaler Euro – nichts konkret verankert

Ein besonders heikler Punkt für Sparer und Anleger bleibt die Frage der finanziellen Privatsphäre und Transparenz. Zwar wird der Begriff “Transparenz” im Vertrag mehrfach genannt, doch konkrete Aussagen zur Einführung eines Vermögensregisters oder zum Umgang mit dem digitalen Euro fehlen auffällig. Dabei kursieren auf EU-Ebene längst Pläne, ein europaweites Register zu etablieren, in dem Bürgervermögen systematisch erfasst werden sollen. Für viele Anleger ist das ein Eingriff in das Vertrauen auf Datenschutz und finanzielle Eigenverantwortung.

Auch der digitale Euro als potenziell staatlich kontrollierbares Zahlungsinstrument bleibt ein blinder Fleck im Koalitionsvertrag. Weder Chancen noch Risiken für Investoren, Finanzdienstleister oder die Sparer selbst werden benannt. Dabei ist klar: Die Einführung digitaler Währungsformen betrifft alle, die heute auf Geldwerte setzen. Die Auslassung dieser zentralen Themen lässt Interpretationsspielräume offen – und genau das verunsichert.

Eigentum, Freiheit, Finanzkontrolle: Kritik an Rn. 1798

Besonders kritisch aus Sicht von Investoren und Vermögensinhabern ist der Hinweis in Randnummer 1798, wonach die Koalition „im Interesse einer effektiveren Bekämpfung von Geldwäsche und Steuervermeidung“ die Datenlage verbessern will. Gemeint ist die Prüfung eines zentralen Vermögensregisters, das “verschiedene vorhandene Register zusammenführen” soll. Was auf den ersten Blick nach Verwaltungsvereinfachung klingt, entpuppt sich als potenziell weitreichender Eingriff in die finanzielle Privatsphäre.

In Anleger- und Eigentümerkreisen wird die Sorge laut, dass unter dem Deckmantel der Transparenz bürgerliche Freiheitsrechte ausgehöhlt werden könnten. Eine solche Erfassung könnte nicht nur Steuerbehörden zugutekommen, sondern auch Begehrlichkeiten auf europäischer Ebene wecken. Ohne hinreichende Schutzvorkehrungen droht ein tiefgreifender Wandel im Verständnis von Eigentum und Anlagesouveränität.


 

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung hat viele Worte und wenig Substanz für all jene, die an eine moderne Finanz- und Kapitalmarktkultur glauben. Aktionäre, Anleger, Investoren und Sparer kommen hier allenfalls am Rande vor – und wenn, dann oft unter Vorbehalt. Was fehlt, ist eine echte Vision für die Kapitalbildung der Mitte. Das Versäumnis, eine durchdachte Aktienrente oder eine renditestarke staatlich unterstützte Altersvorsorge vorzulegen, wiegt schwer. Der Vertrag verspricht “Wohlstand für alle”, aber auf dem Weg dorthin bleibt die Rolle der Kapitalmärkte unklar – oder gar gewollt unterbelichtet.

Ein Koalitionsvertrag, der Deutschlands wirtschaftliche Kraft stärken will, darf sich nicht länger vor der Finanzbildung, dem Investieren in Sachwerte und der Mobilisierung privaten Kapitals scheuen. Leider sieht es so aus, als ob genau das wieder passiert ist.