Wer gehofft hatte, der neue Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD könnte steuerpolitisch einen echten Aufbruch markieren, wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. In der Disziplin, die über Investitionen, Vermögensbildung und Leistungsanreize entscheidet, bleibt der Vertrag eine Sammlung von Versatzstücken. Steuerliche Erleichterungen für Kapitalerträge? Fehlanzeige. Visionen für eine vermögensfreundliche Steuerstruktur? Nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Das Dokument offenbart eine Mischung aus punktuellen Entlastungen, altbekannten Belastungsplänen und viel technokratischer Detailarbeit.

Einkommensteuer und Mittelstand: Kleine Signale ohne große Linie (Rn. 1441 ff.)

“Zur Mitte der Legislaturperiode senken wir die Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen” (Rn. 1442). Was auf den ersten Blick nach einem Schritt in die richtige Richtung klingt, bleibt inhaltlich blass. Welche Tarife konkret sinken sollen, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob kalte Progression systematisch abgebaut wird. Immerhin: Wer über das Rentenalter hinaus arbeitet, soll bis zu 2.000 Euro steuerfrei im Monat hinzuverdienen dürfen (Rn. 1449). Ein Detail, das eher die Erwerbsarbeit älterer Jahrgänge stärkt als eine generelle Steuerreform einleitet.

Auch die steuerliche Begünstigung von Überstunden und “Arbeitszeitprämien” (Rn. 1446) wirkt wie ein Korrektiv für eine Arbeitswelt, die längst aus anderen Gründen dysfunktional geworden ist. Eine grundsätzliche Entlastung für Leistungsträger bleibt aus.

Unternehmensteuern: Eine stille Hoffnung (Rn. 1429 ff.)

Für Kapitalgesellschaften immerhin ein Lichtblick: Die Körperschaftsteuer soll ab 2028 schrittweise von 15 auf 10 Prozent sinken (Rn. 1433). Auch das Optionsmodell nach § 1a KStG sowie die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG sollen verbessert werden. Das klingt pragmatisch und zeigt ein gewisses Verständnis für Wachstumsimpulse durch Investitionen.

Allerdings: Die geplante Erhöhung des Mindesthebesatzes bei der Gewerbesteuer von 200 auf 280 Prozent (Rn. 1456) konterkariert diese Entlastungen. Gerade für kleine Kapitalgesellschaften oder vermögensverwaltende Betriebe ist das eine spürbare Mehrbelastung.

Steuerliche Investitionsanreize: Kurzfristig, punktuell, verpuffend (Rn. 1435)

Ein “Investitions-Booster” soll mit einer degressiven Abschreibung von 30 Prozent für Ausrüstungsinvestitionen in den Jahren 2025 bis 2027 Anreize schaffen. Was nach konjunktureller Sofortmaßnahme klingt, bleibt im langfristigen Steuerrahmen jedoch folgenlos. Die Wirkungen solcher Programme verpuffen in der Regel, sobald sie auslaufen. Langfristige Investitionsentscheidungen werden dadurch nicht grundlegend stimuliert.

Kapitalerträge, Abgeltungsteuer, Vermögensbildung: Die große Leerstelle

Die vielleicht größte Enttäuschung für Anleger und Sparer: Es findet sich keine einzige konkrete Aussage zur Zukunft der Abgeltungsteuer. Weder wird die Vorabpauschale abgeschafft, noch gibt es neue Freibeträge oder eine Dynamisierung bestehender Grenzen. Von einer Entlastung von Kapitalerträgen, einer Anhebung der Sparerfreibeträge oder gar einer Vereinfachung der Verlustverrechnung fehlt jede Spur.

Auch die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer steht nicht auf der Agenda. Das dürfte viele beruhigen, aber der Preis ist eine dröhnende Leerstelle in der Diskussion um steuerliche Gerechtigkeit, Transparenz und fiskalische Belastbarkeit.

Finanztransaktionssteuer und EU-Taxonomie (Rn. 1495 ff.)

Die Bundesregierung unterstützt weiterhin Bemühungen für eine EU-weite Finanztransaktionssteuer. Auch wenn der Vertrag hierzu keine nationalen Alleingänge nennt, bleibt diese Ankündigung ein latentes Risiko für alle, die in Wertpapiere investieren. Eine solche Steuer würde den Kapitalmarkt belasten und trifft insbesondere aktive Anleger sowie institutionelle Investoren, deren Umsätze Volumen und Liquidität sichern.

Energiesteuern: Selektive Entlastung mit Lücken (Rn. 1500 ff.)

Die Stromsteuer wird für private Haushalte auf das EU-Mindestmaß gesenkt. Das ist ein positives Signal, aber für die allermeisten Anleger nur ein Nebenschauplatz. Die Wiedereinführung der Agrardiesel-Rückvergütung (Rn. 1503) wiederum betrifft nur einen kleinen Sektor.

Digitalisierung, Steuervereinfachung und Verwaltung (Rn. 1522 ff.)

Die Bundesregierung verspricht Fortschritte bei der Steuervereinfachung: Eine “Arbeitstagepauschale” soll kommen, Rentner sollen weniger Erklärungen abgeben müssen. Das klingt bürgerfreundlich, aber für Investoren und vermögende Privatpersonen bieten diese Reformen keinen echten Mehrwert.

Die geplante Selbstveranlagung und Digitalisierung der Finanzverwaltung (Rn. 1531 ff.) bergen zudem Risiken der Bürgerüberforderung, wenn automatisierte Verfahren in der Praxis Fehler produzieren, gegen die kaum ein rechtliches Gegengewicht bleibt.

Steuervermeidung, Missbrauchsbekämpfung und Register (Rn. 1506 ff., 1798)

Ein starkes Gewicht legt der Vertrag auf die Bekämpfung von Steuervermeidung und Geldwäsche. Mehr Betriebsprüfer, moderne IT und ein Fokus auf “schwere Steuerstraftaten” (Rn. 1509) sollen die Effizienz der Verwaltung erhöhen. Aus Sicht rechtstreuer Investoren ist das prinzipiell nachvollziehbar. Kritisch wird es jedoch bei Randnummer 1798: Dort prüft die Koalition die Einführung eines zentralen Vermögensregisters – ein Projekt, das in seiner Tragweite kaum abschätzbar ist.

Ein solches Register könnte die Erfassung aller Vermögenswerte inklusive Immobilien, Kapitalanlagen und Beteiligungen beinhalten. Nicht nur datenschutzrechtlich ein großer Schritt, sondern auch politisch ein möglicher Vorbote einer späteren Besteuerung. Hier geht es nicht um Verwaltungseffizienz, sondern um einen Systemwechsel im Umgang mit Eigentum.


 

Die Steuerpolitik des neuen Koalitionsvertrags ist kein Aufbruch, sondern ein Flickenteppich. Einzelne Erleichterungen wie die Körperschaftsteuerreform oder die degressive AfA sind willkommene Korrekturen. Doch das Gesamtbild bleibt ernüchternd: Kapitalerträge werden nicht gestärkt, Vermögensbildung nicht incentiviert, Eigentum nicht geschützt. Stattdessen dominieren kleinteilige Reformen, steuertechnische Verschiebungen und vage Prüfaufträge.

Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit wäre ein klares Signal für Leistung, Eigentum und Investitionen notwendig gewesen. Dieser Vertrag bleibt dieses Signal schuldig.