Bis vor Kurzem waren sie kaum jemandem ein Begriff – weder in den Schlagzeilen, noch in Bankgesprächen oder auf Anlegermessen: ELTIFs, ausgesprochen „El-tiffs“. Die Abkürzung steht für European Long Term Investment Fund und deutet bereits an, worum es geht: Fonds mit langfristigem Anlagehorizont, die privates Kapital in Projekte lenken sollen, von denen Wirtschaft und Gesellschaft langfristig profitieren. Und doch erleben diese bis dato eher sperrigen Produkte derzeit einen regelrechten Boom.
„Der Knoten ist geplatzt“, sagt Hosna Houbani von der Ratingagentur Scope. Ein Satz, der wie eine kleine Zeitenwende klingt – und genau das ist er auch. Denn mit dem Jahreswechsel trat das neue Regelwerk ELTIF 2.0 in Kraft. Und das verändert alles.
Von der Nische zum Massenmarkt?
Wer bislang als Privatanleger in Infrastrukturprojekte, nicht börsennotierte Unternehmen oder großvolumige Immobilienentwicklungen investieren wollte, hatte es schwer. Solche Investments galten als Domäne institutioneller Anleger: Versicherungen, Pensionsfonds, Family Offices. Für „normale“ Anleger waren die Hürden schlicht zu hoch – allein die Mindestanlagesummen lagen oft bei 100.000 Euro oder mehr.
Doch genau diese Hürde fällt nun weg. Mit ELTIF 2.0 ist keine gesetzliche Mindestanlage mehr erforderlich. Anbieter können frei entscheiden, ob sie Produkte auch für Kleinanleger öffnen. Und sie tun es – mit Erfolg: 55 neue ELTIFs kamen 2023 auf den Markt, so viele wie nie zuvor. Laut Scope stieg das verwaltete Vermögen allein im vergangenen Jahr von knapp 15 auf über 20 Milliarden Euro – und bis 2027 könnte es sich auf rund 70 Milliarden Euro mehr als verdreifachen.
Das Bemerkenswerte daran: Zum ersten Mal wird es für Privatanleger möglich, sich – auch mit kleineren Beträgen – an genau jenen Projekten zu beteiligen, die bislang Profis vorbehalten waren. Solarparks in Südeuropa, Glasfasernetze in deutschen Mittelstädten, Wachstumskapital für vielversprechende Mittelständler oder Start-ups: All das sind Anlageziele von ELTIFs.
Was drin ist – und was zu erwarten ist
Trotz der gemeinsamen Klammer „Langfristinvestment“ unterscheiden sich ELTIFs in ihrer Zusammensetzung erheblich. Die meisten Produkte investieren in sogenannte Privatmärkte – also Märkte, die nicht an der Börse stattfinden. Dazu zählen Private Equity, Private Debt, Infrastruktur und Immobilien.
Private Equity – das klingt groß, und das ist es auch. Hier beteiligen sich Fonds direkt an Unternehmen, die nicht börsennotiert sind. Oft handelt es sich um junge, innovative Firmen mit ambitionierten Wachstumsplänen. Der Gewinn entsteht, wenn das Unternehmen später gewinnbringend verkauft oder an die Börse gebracht wird. Die Renditechancen? Hoch – Analysten rechnen mit durchschnittlichen Jahresrenditen von 10 bis 15 Prozent. Doch das Risiko ist ebenfalls beträchtlich: Wer früh investiert, trägt mitunter auch die frühen Rückschläge mit.
Weniger spektakulär, aber planbarer ist Private Debt. Hier vergeben Fonds Kredite an Unternehmen, die auf herkömmlichem Wege oft keine Finanzierung erhalten – sei es, weil sie zu speziell, zu klein oder zu jung sind. Im Gegenzug winken höhere Zinsen. Die Renditeerwartungen liegen zwischen sieben und neun Prozent pro Jahr. Weniger als bei Private Equity, aber eben auch mit einer geringeren Fallhöhe. In der Praxis bedeutet das: Wer in Private Debt investiert, wettet nicht auf die Wertsteigerung eines Unternehmens, sondern auf dessen Fähigkeit, seine Schulden regelmäßig zu bedienen.
Und dann ist da noch der große Bereich Infrastruktur – vor allem bei deutschen Anlegern beliebt. Knapp 71 Prozent des Kapitals deutscher ELTIF-Investoren fließt laut Scope in diesen Bereich. Erneuerbare Energien, Verkehrsnetze, digitale Infrastruktur: Es sind Projekte mit klarer volkswirtschaftlicher Relevanz und oft staatlicher Flankierung. Die Renditen sind mit fünf bis neun Prozent im Jahr solide, aber selten spektakulär. Dafür punktet Infrastruktur mit vergleichsweise stabilen Rückflüssen.
Versprechen, Kosten, Realität
All das klingt vielversprechend – doch wie so oft steckt der Teufel im Detail. Denn ELTIFs sind keine Billigprodukte. Neben dem oft fälligen Ausgabeaufschlag von zwei bis fünf Prozent verlangen die meisten Fonds Managementgebühren von rund 1,9 Prozent pro Jahr. Bei Private Equity sind es sogar oft über drei Prozent. Zusätzlich kommen erfolgsabhängige Gebühren hinzu – zehn bis zwanzig Prozent auf Gewinne, die eine vorher definierte Schwelle übersteigen. Diese sogenannte „Hurdle Rate“ liegt meist bei sieben bis acht Prozent.
Auch bei der Liquidität müssen Anleger Abstriche machen. ELTIFs sind, wie der Name andeutet, langfristige Investments. Das bedeutet: Wer heute investiert, muss mit Haltefristen von mehreren Jahren rechnen. Drei Monate sind das Minimum – oft sind es fünf Jahre oder mehr. Zwar gibt es erste Überlegungen zu einem Zweitmarkt, auf dem Anteile gehandelt werden könnten, doch bislang sind diese Pläne noch Zukunftsmusik.
Für wen sich ein ELTIF eignet – und für wen nicht
Und hier liegt auch der entscheidende Punkt: ELTIFs sind keine Produkte für jeden. Sie sind keine flexiblen ETFs, keine Tagesgeldersatzlösung, kein Allzweck-Investment. Sie sind vielmehr eine langfristige Beimischung – für Anleger, die ihr Geld wirklich „arbeiten lassen“ wollen, ohne es jederzeit anfassen zu müssen. Wer plant, in drei Jahren ein Haus zu kaufen oder das Geld für die Ausbildung der Kinder bereithalten will, ist mit einem ELTIF schlecht beraten.
Dazu kommt: Noch immer sind viele Anleger – teils aus Erfahrung – skeptisch, wenn es um geschlossene oder halbgeschlossene Fonds geht. Die Vergangenheit kennt zu viele unrühmliche Geschichten, von Schiffs- bis Immobilienfonds, in denen Kleinanleger ihr Geld über Jahre gebunden hatten – und am Ende oft nur wenig davon zurückbekamen.
Und doch: Die Struktur von ELTIFs ist robuster, transparenter, besser reguliert als das, was in der Vergangenheit vielfach schiefging. Wer sich auf die Regeln einlässt, Kosten und Risiken kennt und bereit ist, für eine Zeit auf Liquidität zu verzichten, findet hier einen Baustein, den klassische Depotbausteine nicht abdecken.
Ein Anfang mit Potenzial
Bislang sind ELTIFs noch ein Nischenprodukt – aber das könnte sich bald ändern. Schon jetzt kooperieren viele Anbieter eng mit Banken, schulen deren Berater und bereiten die Fonds für die breite Vermarktung vor. Doch eines ist klar: Der ELTIF ist, wie Branchenkenner sagen, ein Push-Produkt. Anleger fragen ihn selten von sich aus nach – er muss erklärt werden. Und das ist gut so. Denn wer ihn verstanden hat, trifft eine informierte Entscheidung. Und wer das nicht tut, sollte besser die Finger davon lassen.
Vielleicht ist das genau das Richtige in einer Zeit, in der allzu viele Finanzprodukte in wenigen Sekunden via App ge- und verkauft werden. ELTIFs hingegen fordern Geduld – und könnten genau deshalb zu einer wertvollen Beimischung in gut durchdachten Portfolios werden.