Ein neuer ETF macht es möglich, mit Europas Rüstungsindustrie Geld zu verdienen – und das im Namen der Nachhaltigkeit. Klingt zynisch? Willkommen im neuen geopolitischen Realismus der Finanzmärkte.
Es klingt wie ein Widerspruch in sich: Ein „nachhaltiger“ Fonds, der gezielt in die europäische Rüstungsindustrie investiert. Doch genau das ist der Fall mit einem neuen Produkt des ETF-Marktführers in Deutschland. Seit Mai 2024 am Markt, bündelt der ETF Aktien europäischer Unternehmen, die den Großteil ihres Umsatzes mit Verteidigung, Luft- und Raumfahrt machen. In einer Zeit, in der Russland wieder Kriege führt und die Welt in sicherheitspolitische Blöcke zerfällt, scheint das nicht nur logisch – sondern fast schon unausweichlich.
Doch was bedeutet es, wenn man als Privatanleger plötzlich mit Raketen, Panzern und Abwehrradaren Rendite erzielt? Und wie passt das mit dem Nachhaltigkeitsversprechen vieler Finanzanbieter zusammen? Die Debatte ist eröffnet – zwischen Prinzipien, Profit und Pragmatismus.
Die Normalisierung des Ausnahmezustands
Lange war Rüstung in Europa ein Tabuthema – auch und gerade in der Finanzwelt. Wer in Waffen investierte, tat das meist indirekt, still und in globalen Fonds versteckt. Doch der russische Überfall auf die Ukraine, die sicherheitspolitische Kehrtwende in Berlin und Brüssel sowie der weltweite Anstieg der Verteidigungsausgaben haben die Spielregeln geändert. Der Ausnahmezustand ist zur neuen Realität geworden.
Allein 2024 wurden weltweit 2,46 Billionen US-Dollar für Militär ausgegeben – ein Rekordwert. Europa verzeichnete einen Anstieg um fast zwölf Prozent. Und die EU plant, im Rahmen ihrer „Bereitschaft 2030“-Strategie hunderte Milliarden Euro für Rüstung und Verteidigung zu mobilisieren.
Diesen Trend greift der neue ETF gezielt auf. Er folgt einem Index, der Unternehmen listet, die mindestens 20 % ihres Umsatzes mit Verteidigung erzielen – oder stark im Luft- und Raumfahrtbereich engagiert sind. Große Namen wie BAE Systems, Airbus oder Leonardo gehören dazu. Gleichzeitig werden Firmen ausgeschlossen, die in kontroverse Waffentechnologien wie Streubomben oder chemische Waffen investieren oder gegen UN-Prinzipien verstoßen.
Rüstung mit grünem Anstrich
Besonders pikant: Der ETF wird als Artikel-8-Fonds unter der europäischen Offenlegungsverordnung SFDR vermarktet. Das heißt, er soll ökologische oder soziale Merkmale fördern. Für Kritiker ist das ein Etikettenschwindel: Wie kann ein Fonds, der auf Waffen baut, nachhaltig sein?
Befürworter argumentieren hingegen: Verteidigung sei ein legitimer Teil nachhaltiger Entwicklung – denn ohne Sicherheit keine Stabilität, keine Demokratie, keine Umweltpolitik. Die NATO bezeichnet Verteidigungsausgaben inzwischen selbst als „verantwortungsvolle Investition in unsere kollektive Zukunft“. Das Sicherheitsnarrativ verdrängt das Friedensnarrativ – auch an der Börse.
Anlegen mit Bauchgefühl
Für Privatanleger wirft das unangenehme Fragen auf. Ist es moralisch vertretbar, mit Kriegsvorbereitung Rendite zu machen? Oder ist das sogar notwendig, um Demokratien zu stärken? Die Antworten darauf sind individuell – und spiegeln letztlich die persönliche Haltung zu Risiko, Verantwortung und Weltlage wider.
Wer ethisch investieren will, schaut oft auf ESG-Ratings (Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung). Doch diese sind im Verteidigungsbereich notorisch inkonsistent. Manche Anbieter werten Verteidigung als negativ, andere – wie in diesem Fall – als gesellschaftlich schützenswert. Der Spielraum der Interpretation ist groß, die Transparenz begrenzt.
Das Problem: ETFs machen Investieren bequem – oft zu bequem. Ein Klick, und schon ist man Teil eines Systems, das man womöglich gar nicht mittragen wollte. Genau deshalb braucht es gerade bei solchen Produkten mehr Aufklärung, mehr kritische Reflexion – und weniger PR-Sprechblasen.
Eine Welt, zwei Realitäten
Ob man diesen ETF gutheißen oder ablehnen soll, hängt letztlich davon ab, wie man die Welt sieht. Für die einen ist er Ausdruck einer kalten, aber notwendigen Realität – der ökonomische Arm einer Zeitenwende. Für die anderen bleibt er ein weiterer Beweis dafür, wie tief sich militärisches Denken in unsere Gesellschaft und Finanzmärkte eingeschrieben hat.
Die Wahrheit liegt wie so oft dazwischen. Rüstung bleibt ein sensibles Thema – erst recht, wenn sie zum Geschäftsmodell wird. Aber vielleicht liegt genau darin der Wert solcher Produkte: Sie zwingen uns, Position zu beziehen. Nicht nur als Anleger, sondern als Bürger.
Die Rückkehr des Krieges nach Europa verändert nicht nur die Außenpolitik, sondern auch die Geldanlage. Ob man nun mitverdienen will oder sich bewusst abgrenzt – man sollte wissen, worin man investiert. Denn am Ende ist jedes Depot auch ein Statement.
Produktüberblick
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