Verlesung der Kaiserlichen Botschaft von Reichskanzler Otto von Bismarck am 17.11.1881: “…Ankündigung der „Heilung sozialer Schäden“ durch Einführung einer Krankenversicherung…”

Am 15.06.1883 verabschiedete der Deutsche Reichstag das Gesetz zur Krankenversicherung. Mit Gründung wurde zeitlich bereits ein Versicherungszwang bzw. eine Versicherungspflicht eingeführt. Überwiegend Personen die gegen Lohn bzw. Gehalt beschäftigt gewesen sind, waren fortan gegen Krankheit versichert.

Wie sieht es heute aus? Haben wir tatsächlich zwei unterschiedliche Systeme? Wie sieht es in anderen Ländern aus?

Wartezeiten auf einen Facharzttermin im internationalen Vergleich

Wer einen Termin beim Facharzt wünscht, der muss hierzulande lange warten. So die weitläufige Meinung. Unbestritten ist, wer Beschwerden hat, der wünscht in der Regel kurzfristig Gehör und hiernach schnell Abhilfe zu finden.

Studien der OECD zeigen, dass Deutschland im internationalen Vergleich entgegen der häufig geäußerten Meinung hinsichtlich der Wartezeiten beim Facharzt gut abschneidet.

Anteil der Patienten, die über 1 Monate auf einen Facharzttermin warten

Länder Commonwealth Studie 2010 Commonwealth Studie 2016
Australien 46 % 39 %
Deutschland 17 % 25 %
Frankreich 47 % 36 %
Kanada 29 % 61 %
Norwegen 50 % 61 %
UK 18 % 41 %
Neuseeland 39 % 48 %
Niederlande 30 % 24 %
Schweden 55 % 42 %
Schweiz 18 % 23 %


Anmerkung: Beim Commonwealth Fund handelt es sich um eine US-amerikanische gemeinnützige Stiftung, welche jährlich in einer Telefonumfrage Personen ab 18 Jahren in verschiedenen Industrieländern zur Wahrnehmung des jeweiligen Gesundheitssytems befragt. Der verwendete einheitliche Fragenkatalog bietet die Möglichkeit einer Erhebung in den unterschiedlichen Ländern nach grundsätzlichen Kriterien.

Woher kommt nun die Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit?

Es könnte daran liegen, dass mehr als die Hälfte der Patienten binnen 3 Tagen einen Termin beim Hausarzt bekommt. Beim Facharzt ist es nur jeder Vierte, der so schnell an die Reihe kommt. 37% können beim Hausarzt sofort vorbeikommen. So gesehen sind mehrere Wochen Wartezeit eine gefühlte Ewigkeit.

Schneller Zugang zur Krebsmedikamenten

Medizinische Verfügbarkeit neuer onkologischer Medikamente nach ihrer EU-Zulassung, in Tagen

Quelle: WIP-Studie Arzneimittelversorgung nach Daten von EFPIA (IQVIA), Stand 2019

Werfen wir mal einen Blick auf die Systeme anderer Länder: Wer einmal in Schweden einen Facharzt oder Krankenhaus aufsuchen musste, den werden einfache Fahrtstrecken von 100km und mehr nicht schrecken. Irritiert ist man allerdings doch, wenn in der nächstgelegenen „Hausarztpraxis“ kein ausgebildeter Arzt, sondern eine Krankenschwester nicht nur die Türe öffnet, sondern auch eine erste Anamnese vornimmt.

Stichwort Großbritannien, die Basiskrankenversicherung ist dort die NHS. Dort ist jeder versichert, der in Großbritannien seinen regelmäßigen Aufenthaltsort hat. Diese finanziert sich rein über Steuergelder. Erste Anlaufstelle ist immer der Hausarzt. Wer es sich leisten kann, hat additiv eine vollständige Private Krankenversicherung. Nur diese ermöglicht eine freie Arztwahl. Die Private Krankenversicherung ist bei vielen Arztpraxen der einzige Weg einen Termin zu erhalten. Viele Arbeitgeber bieten ihren Mitarbeitern eine private Vollversicherung. Der Nachteil hierbei ist, das kennen wir so in Deutschland gar nicht, es gibt häufig kein „lifetime renewal“, d.h. die Versicherung endet spätestens mit Erreichen des Rentenalters. Der Versicherte fällt in dem Alter, in dem statistisch höhere Gesundheitskosten anfallen, auf ein niedrigeres Absicherungsniveau zurück.

Stichwort Großbritannien – „St. Thomas Hospital“ – dort wurde Boris Johnson behandelt

Schauen wir uns einmal an, wie es sich dort für eine Schwangere darstellt: Das Krankenhaus rechnet nach Einzelposten ab, verlangt allerdings vorab eine Anzahlung von GBP 10.000. Bevor diese Anzahlung nicht eingegangen ist, wird die Patientin nicht aufgenommen. Entstehende Mehrkosten werden mit der Abschlussrechnung fakturiert. Der behandelnde Privatarzt berechnet für seine Tätigkeit eine fixe Pauschale in Höhe von GBP 5.000, diese ist im Nachhinein zu entrichten.

Stichwort Schweiz, dort ist jede Einwohnerin und jeder Einwohner verpflichtet eine Grundversicherung abzuschließen. Es besteht Wahlfreiheit zwischen den rund 60 privaten Krankenkassen. Diese müssen jeden, unabhängig ob gesund oder krank, in der Grundversicherung aufzunehmen. Die Kosten sind i.d.R. allein vom Versicherten zu tragen. Einen Arbeitgeberzuschuss kennt man dort nicht. Wer mehr Leistungen möchte, kann diese über Zusatzversicherungen abdecken. Hier steht es den Versicherern frei, ob sie Personen aufnehmen, oder z.B. aufgrund bestehender Erkrankungen, ablehnen. Zahnbehandlungen sind grundsätzlich privat abzusichern und gehören nicht zum Umfang der Grundversicherung. Auch ist, im Vergleich zu Deutschland, jedes Familienmitglied im Rahmen einer „Kopfprämie“ einzeln abzusichern. Eine beitragsfreie Familienversicherung wie in Deutschland kennt man dort nicht.

Fazit: Auch wenn es am dt. System sicher manches zu bemängeln gilt, es geht schlechter, vielerorts. Was nicht bedeutet, dass es hier nicht besser geht. Eines kann ein Blick in andere Länder auch lehren, Wettbewerb belebt das Geschäft.

1 Mrd. EURO – täglich – diese Grenze überschritten die Kosten im deutschen Gesundheitswesen erstmalig 2019. Wie geht es weiter, womit mit mittelfristig zu rechnen? Dazu einige Gedanken im nächsten Artikel.

 


 

Dirk Ledermann wurde 1971 in Frankfurt am Main geboren. Der berufliche Eintritt in den Bereich  Gesundheit & Versicherungen erfolgte im Jahre 2002. Seit 2019 ist er Mitglied des Vorstands der AssCurat Versicherungsmakler AG, dort  verantwortlich für die Bereiche Gesundheit und Biometrie.

Er ist Experte Krankenversicherung (Deutsche Makler Akademie) sowie Mitglied im Arbeitskreis Kranken der ALTE OLDENBURGER Krankenversicherung AG – gemeinsam stark.

Als ehemaliger Triathlet hält er heute seinen Körper mit Schwimmen, Mountainbiken und Rudern fit, für den Geist darf es gerne, neben entsprechender Fachliteratur, etwas aus dem Federkiel des Zukunftsforschers Sven Gábor Jánszky sein. Für das familiäre Wohlfühlpaket sowie ein Ausbleiben von Langeweile sorgen eine Frau, eine Tochter und zwei Dalmatiner.